Hexenliebe: Die Mission

Die Widersprüche des Hexereikonstrukts

Schon von Jugend an hat mich das Phänomen der Hexenverfolgung gleichermaßen fasziniert und entsetzt. Wie konnten Menschen nur all diesen Unsinn von Hexensabbat und Teufelsbuhlschaft glauben? Weshalb erkannte niemand, dass mit der grauenhaften Folter jedes beliebige Geständnis erpresst werden konnte? Und warum durchschaute man die Widersprüche im Hexereikonstrukt nicht?

Mein Vater, von Beruf Geschichtslehrer, gab mir eine Zusammenstellung der bei den Verhören empfohlenen Fragen, frei nach den Ratschlägen des "Hexenhammers", einem der frauenfeindlichsten Bücher der Literaturgeschichte. Es wurde 1486 veröffentlicht und stammt überwiegend aus der Feder des Dominikaners und fanatischen Hexenjägers Heinrich Institoris Kramer.

Schon als 13-Jährige empörte ich mich über die Formulierungen, die von vorneherein keinen Zweifel an der Schuld der Beklagten ließen. Wie und wo sie ihre Seele dem Teufel verschrieben hätte? Diese Frage gehörte zu den ersten, die den Delinquentinnen gestellt wurde, gleich nach den Angaben zur Person und zur Herkunft.

War man erst einmal in die Mühlen der Hexenjustiz geraten, schien es keinen Ausweg zu geben. Doch schon der Hexenhammer, der den Anstoß zu den ersten Verfolgungswellen gab, wimmelt von Ungereimtheiten. War eine Frau besonders hässlich, galt sie schnell als verdächtig. War sie besonders schön, wurde auch dies dem Einfluss des Teufels zugeschrieben. Ich las über die furchtbaren Verfolgungen in Würzburg in den Jahren 1625 bis 1630. In allen Quellen wird das Göbel Babelin erwähnt, die schönste Jungfer der Stadt, verhaftet, gefoltert und als Hexe verbrannt.

Zu viel Frömmigkeit war verdächtig, doch konnte eine Frau die zehn Gebote nicht hersagen oder machte einen Fehler beim Vaterunser, galt dies fast schon als Beweis ihrer Schuld. Wer sich gegen die Beschimpfung als Zauberin nicht wehrte, vielleicht um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, wurde für schuldig gehalten. Doch viele, die sich wehrten, verließen die Gerichte nicht mehr als freie Menschen.

Trug man ein Muttermal oder eine Warze am Körper, galt dies als Stigma des Teufels. Fand man kein solches Zeichen, war man sogar besonders verdächtig, denn der Teufel kennzeichnete nur die Dienerinnen, deren Loyalität er nicht vertraute.

Besonders empörte mich, dass auch die Peinliche Halsgerichtsordnung des Kaisers Karl V. aus dem Jahr 1532, das erste deutsche Strafgesetzbuch, unterlaufen wurde. „Wer dreimal die peinliche Frag`übersteht“, also die unmenschliche Folter ertrug, ohne zu gestehen, sei freizulassen, heißt es da. Gewiefte Hexenjäger machten daraus ein besonders schweres Indiz der Schuld. Eine solche Qual könne nur jemand ertragen, dem der Teufel die Kraft dazu gegeben hatte. Diese Beklagten wurden zur Strafe für ihre Verstocktheit in der Regel lebendig verbrannt.

Mit grimmiger Befriedigung erfüllte mich, dass auch besonders eifrige Denunzianten in vielen Fällen früher oder später auf dem Scheiterhaufen endeten, selbst der ein oder andere fanatische Hexenjäger. Andererseits war niemand sicher, der Kritik an diesem System äußerte. Wer eine Hexe verteidigte, musste selbst ein Komplize des Teufels sein.

Je mehr ich über all dies las, desto wütender wurde ich. Erst viele Jahre später entdeckte ich, dass der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld in seinem Buch "Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken gegen die Hexenprozesse" schon im Jahr 1632 diese und andere Widersprüche mit unwiderlegbarer Logik aufdeckte. Trotzdem gingen die Verfolgungen vielerorts noch mehr als ein Jahrhundert weiter.

Schon als Teenager fragte ich mich, warum niemand auf die Idee kam, die Ungereimtheiten des Hexereikonstrukts für seine Verteidigung zu verwenden und gegen die eigenen Ankläger zu nutzen. Jedes Geständnis unter der Folter galt doch als wahr, sofern es der Delinquent nicht anderntags widerrief. Heute weiß ich, dass es kluge Frauen und Männer gab, die auf diese Weise reagierten, und vereinzelt Verfolgungswellen dadurch sogar zum Erliegen brachten.

Doch auf dem Hexentanzplatz in Neuerburg spürte ich jenseits aller späteren Erkenntnisse aus den Recherchen die alte Mischung aus Faszination und Empörung, die ich seit meinen Jugendzeiten kannte.

Hier war das Buch, das ich seit Jahrzehnten schreiben wollte. Endlich konnte ich meiner Phantasie freien Lauf lassen und die Hexenjäger mit ihren eigenen Waffen schlagen. Und zumindest in der Fiktion all jenen eine Genugtuung verschaffen, die unschuldig zu Tode kamen.

Die Geschichte war geboren.

 

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