KaDeWe - Haus der Wünsche: Was ich beim Schreiben gelernt habe
Über den aufkommenden Nationalsozialismus
Vielleicht, weil ich mich mit der Weimarer Republik vorher noch nie intensiv beschäftigt habe, da sie selbst in meinem Leistungskurs Geschichte im Gymnasium kein Thema war, war mir vor meinen Recherchen zu Band 2 des KaDeWe nicht klar, wie stark der Einfluss der Nazis bereits lange vor der Machtergreifung am 30. Januar 1933 war.
Schon in den letzten Jahren der Roaring Twenties beherrschte der SA-Pöbel die Straßen, besonders stark in Berlin, und lieferte sich regelmäßig auch tödlich endende Schlägereien mit Anhängern der KPD. Die Warenhäuser, insbesondere solche in jüdischem Besitz, waren ebenfalls Ziel von infamer Hetze und hämischer Propaganda. Sie wurden immer häufiger von Nazis heimgesucht und dabei oft schwer beschädigt.
Zum wirtschaftlichen Niedergang der Familie Tietz trug dies entscheidend bei, da insbesondere ihre Kaufhäuser außerhalb Berlins häufig Ziel solcher Attacken waren. Kunden wurden bedroht, sogar fotografiert und zum Beispiel in Zeitungskästen des Nazi-Blatts Der Stürmer zur Schau gestellt.
Als dann ab Oktober 1929 noch die Weltwirtschaftskrise dazu kam, war es kein Wunder, dass der Umsatz der Hermann Tietz OHG binnen weniger Jahre um fast 50 Prozent sank.
Aber zurück zu den Nazis: eine erste konzertierte Aktion gegen jüdische Geschäfte und Bürger waren die Ku‘damm-Krawalle am 12. September 1931. Da die Weimarer Justiz auf dem rechten Auge blind war, kamen selbst die Haupttäter mit geringen Strafen davon und wurden nach der Machtergreifung natürlich vollständig amnestiert.
Schon am 1. April 1933 gab es einen Aufruf zu einem reichsweiten Boykott aller jüdischen Geschäfte. In Berlin hielten sich jedoch nur so wenige Kunden daran, dass der Umsatz an jenem Tag vergleichbar mit dem arischer Geschäfte war. In den Tagen danach stieg er kurzfristig sogar noch an.
Trotzdem gingen die Nazis von vornherein auch gegen bestimmte Berufsgruppen vor: jüdische Anwälte durften keine öffentlichen Gebäude mehr betreten, jüdische Ärzte wurden aus den Berliner Krankenhäusern entlassen. Und schon ab Mai 1933 gab es ein Berufsverbot für jüdische wissenschaftliche Mitarbeitende an Universitäten.
Die damalige Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin (heute Humboldt-Universität) ging sogar in vorauseilendem Gehorsam voran und entließ ihre jüdischen Mitarbeitenden schon einen Monat, bevor das Nazi-Gesetz in Kraft trat.
Schon damals wurden also viele jüdische Existenzen in Deutschland zerstört. Das Einzige, was mich dabei tröstet, ist, dass viele dieser Betroffenen ins Ausland emigrierten und so wenigstens dem späteren Holocaust entkamen.
Über den luxuriösen Umbau des KaDeWe
Das KaDeWe war schon unter der Ägide von Adolf Jandorf das bekannteste Kaufhaus Berlins und zog Touristen aus aller Welt an. Obwohl genaue Daten darüber nicht bekannt sind, hieß es schon kurz nach dem Verkauf, die Familie Tietz habe für den Kauf eine sehr hohe Summe entrichtet.
Trotzdem begann die Geschäftsführung fast unmittelbar danach damit, einen sehr aufwendigen Umbau zu planen und in die Tat umzusetzen. Zwei neue Stockwerke für den Verkauf und zwei Dachgeschosse mit Arbeits- und Lagerräumen wurden aufgestockt. Durch den Erwerb weiterer Grundstücke erweiterte man die Fläche auch zu den Seiten hin.
Bis heute weiß niemand genau, was die Familie Tietz zu diesem überaus kostspieligen Schritt bewog. Aus der Festschrift von Max Osborn, die gleichzeitig zum 25-jährigen Jubiläum und der Neueröffnung des fertiggestellten KaDeWe im Frühjahr 1932 erschien, geht der unglaubliche Luxus deutlich hervor.
Besonders die heute noch berühmte Lebensmittelabteilung stach heraus. Ebenso wie für die neugestalteten Erfrischungsräume, für deren Wandbemalung man namhafte Künstler engagierte, schien nichts zu gut und zu teuer für die Ausgestaltung zu sein. Marmorböden, Marmorpfeiler, umrahmt von echtem Meißener Porzellan, großzügige verglaste Verkaufsstände und die neueste Technik beherrschten das Bild. Es gab zum Beispiel schon damals Aquarien mit lebenden Fischen, die zum Verkauf angeboten wurden.
Beim Studium dieser Festschrift habe ich mich allerdings gefragt, wer denn zur damaligen Kundschaft des KaDeWe gehört haben könnte. Denn infolge der Weltwirtschaftskrise war das Elend der Berliner Bevölkerung noch größer als in den Kriegsjahren und den Zeiten der Hyperinflation. Allein in Berlin gab es 600.000 Arbeitslose, die zum Teil verzweifelt mit um den Hals gehängten Schildern auf Straßen und Plätzen um jede erdenkliche Arbeit baten. Auch große Teile des Mittelstands gerieten erneut in den Strudel dieser Wirtschaftskrise und verloren ihre Kaufkraft.
Dramaturgisch habe ich mir meine eigene Meinung darüber gebildet, warum die Geschäftsführung von Tietz sich auf diesen Umbau einließ, der für mich mit seinem unermesslichen Luxus völlig aus der Zeit gefallen wirkte. Denn in meinen Quellen habe ich keine Erklärungen dafür gefunden.
Tatsache ist jedoch, dass die Familie Tietz auch durch diesen Umbau maßgeblich in die Schwierigkeiten geriet, die nur zwei Jahre später ihre Enteignung zur Folge hatten. Schon zuvor verzeichnete das KaDeWe zum ersten Mal in seiner Geschichte erhebliche Umsatzrückgänge.
Über die Mieterstreiks in Berlin
Insbesondere in den Zwanzigerjahren wurden die Wohnverhältnisse in den großen Berliner Mietskasernen immer unhaltbarer. Es herrschte so große Wohnungsnot, dass man jedes noch so dürftige Loch zu oft astronomisch hohen Summen vermieten konnte.
Als sich nach der Weltwirtschaftskrise in den ersten Dreißigerjahren das Elend der Berliner Bevölkerung mehr und mehr vergrößerte, konnten viele Mieter ihre Wohnung nicht mehr bezahlen und wurden rücksichtslos auf die Straße gesetzt.
Aus Sorge, obdachlos zu werden, akzeptierten daher viele Bewohner lange Zeit Zustände, wie sie schlimmer nicht hätten sein können: verdrecktes, ungenießbares Trinkwasser, herabfallender Putz von den Außenfassaden als beständige Lebensgefahr für Vorübergehende, im Wortsinn tropfnasse Wände, Ungeziefer aller Art, selbst in die Wohnungen hinein leckende Abwasserleitungen waren an der Tagesordnung.
Besonders schlimm waren die Verhältnisse in Meyers Hof. Als Spekulationsobjekt hatte die Mietskaserne in den Zwanzigerjahren mehrfach den Besitzer gewechselt. Man hoffte, das Gebäude abreißen zu können, damit dort eine Fabrik oder später eine Straße gebaut werden könnte. Allein aus diesem Grund investierten die Eigner natürlich nichts mehr in die zunehmend verfallenden Hinterhäuser und -höfe.
Schließlich erwarb ein jüdischer, aus Rumänien stammender Emigrant Meyers Hof. Und verhielt sich zu meiner Bestürzung tatsächlich genauso, wie es den Vorurteilen der Nazis entsprach: Er beutete seine Mieter ohne Erbarmen aus, tat jedoch nicht das Geringste zur Verbesserung der Wohnverhältnisse. An dieser Stelle sei jedoch ausdrücklich betont: Das war eine Ausnahme, keineswegs die Regel, wie die Nazis behaupteten.
Doch diese Verhältnisse führten auch in Meyers Hof schließlich zu Mieterstreiks. Das bedeutete, dass die Miete gemindert oder gar nicht bezahlt wurde, bis die Missstände beseitigt waren. Auch der Besitzer von Meyers Hof begann schließlich damit zu sanieren.
Doch dann kamen die Nazis an die Macht. Da die Mieterstreiks insbesondere von Mitgliedern der KPD und der SPD organisiert und angeführt worden waren, kamen sie rasch zum Erliegen. Wer nicht schon bald von den Nazis verhaftet wurde, hütete sich, Aufsehen zu erregen. Denn Mitglieder dieser beiden Parteien waren die ersten politischen Gefangenen nach der Machtergreifung.